It’s kind of a funny story.

Tagebuch aus der Psychiatrie

Nach meinem Suizidversuch wurde ich in der stationären Psychiatrie aufgenommen. Ich war dort, weil ich nicht mehr durch den Alltag gekommen bin und mir selbst nicht mehr vertraute. Der Aufenthalt hat mir sehr gut getan. Ich habe meine Krankheiten besser verstanden und mich mit jedem Tag sicherer vor mir selbst gefühlt. Mit dieser Kurzgeschichte, die ich während meines Aufenthalts geschrieben habe, möchte ich veranschaulichen, wie meine Erfahrung in der Klinik war und das Stigma darüber und auch über psychische Erkrankungen bekämpfen. Die stationäre Aufnahme wird von vielen als ultima ratio gesehen. Ich bin mittlerweile davon überzeugt, dass sie viel früher in Bedacht gezogen werden muss. Die ultima ratio ist es, die Rettung zu rufen. Gleichzeitig möchte ich auch auf einige Problembereiche in dem Bereich hinweisen. Um das Feld psychische Gesundheit zu verbessern, muss auch an andere Bereiche gedacht werden, die damit Hand in Hand gehen.

Ich freute mich schon auf die Tage in Frankreich. Ich würde einen kurzen Zwischenstopp in Paris machen, wo ich Freunde von meinem Erasmus-Jahr wiedersehen würde. Das war die Zeit, wo ich mich wirklich frei fühlte, frei von allen Verantwortungen, die ich in Wien hatte – als Kind zweier Migranten muss man früh beginnen, Dinge für die Eltern zu erledigen und nimmt ihre Verantwortungen mit in die Hände – und in Paris konnte mich selbst sozusagen neu erfinden, oder zumindest um einige persönliche Entwicklungen für mich selbst reicher werden. Diese Freunde, die ich dort gefunden habe, haben mir genau das ermöglicht. Also freute ich mich, sie wieder zu sehen. Und in Marseille fand so ein europäischer Kongress statt, wo man sich mit anderen Jungpolitiker_innen austauschen könnte. Es waren also wirklich schöne Tage mit alten Freund_innen und neuen Bekanntschaften, ein Tapetenwechsel und ein bisschen Sonne am Meer. Und dann lief irgendetwas schief.

Die Tage darauf waren nicht einfach. Nach meinem Selbstmordversuch in Frankreich wurde die Rettung gerufen und ich kam nach einer Nacht in der Notfallambulanz in die Psychiatrie. Wenn sie dir alle spitzen Gegenstände, Parfum und Ladekabel wegnehmen, weißt du spätestens da, dass es ernst ist – selbst wenn es ein Hilfeschrei war, war er ein gefährlicher, denn er hätte wirklich anders enden können. Die Tat fühlt sich immer noch wie ein Traum an, den man nicht versteht, der nur noch verschwommen in Erinnerung ist. Nach einer weiteren Nacht habe ich es irgendwie endlich nach Wien geschafft. Ich konnte mir davor nicht vorstellen, wie ich den Weg zum Flughafen schaffe und wie ich irgendwie in Wien meinen Alltag bewältigen könnte. Irgendwie funktionierte es, die zwei Nächte im Spital haben mich auch ein bisschen mehr stabilisiert, um die Rückreise anzutreten.

Jetzt war ich zumindest in Wien und hatte es nicht so weit nach Hause, oder zu Freunden. Jakob hat mich vom Flughafen abgeholt, und allein durch die Umarmung fühlte ich mich schon sicherer. Alte Freundschaften wie unsere, die schon über 16 Jahre gehen, geben viel Vertrautheit und vor allem Geborgenheit. Wir haben noch einen kurzen Zwischenstopp bei meiner Mutter eingelegt, damit sie sich keine Sorgen um mich machte. Ein paar Nächte habe ich dann bei Freund_innen verbracht. Das waren schöne Tage, wo ich sie und ihre Alltage so richtig kennenlernen konnte. Wenn man erwachsen ist, verbringt man nicht mehr so viel Zeit mit Freund_innen. Da trifft man sich, wenn es gut geht, vielleicht einmal die Woche und dann geht man wieder zurück zum eigenen Alltag.

Wenn ich aber alleine war, habe ich entweder den ganzen Tag geschlafen oder war verzweifelt, weil ich nicht alleine durch den Tag kam. Ich konnte mir nicht einmal vorstellen, irgendwie alleine irgendwohin zu gehen mit den Öffis oder zu Fuß, ich hatte so eine große Angst vor dem Alleine sein. Wenn selbst das Denken anstrengend ist, und das Reden mit Menschen – was mir normalerweise sehr viel Freude bereitet – einem Kraft raubt, dann fühlt man sich betäubt und hilflos. Ich habe erst später erfahren, dass diese Symptome nicht nur Nachwirkungen meines Suizidversuches waren, auch nicht nur die meiner Depression – sondern die einer borderline Persönlichkeitsstörung, mit der ich jetzt auch diagnostiziert wurde. Na super, anscheinend hatte ich doch nicht so eine leichte Kindheit, auch wenn ich die Erlebnisse – dachte ich – gut verarbeitet hatte.

Am Montag-Abend ist dann Sabrina vorbeigekommen und wir haben einen Plan geschmiedet: Wir würden uns am nächsten Morgen um 7:30 Uhr vor dem Krankenhaus treffen, damit ich mich in der Psychiatrie einweisen kann. Auch wenn es mir jetzt im Moment besser geht, konnten wir nämlich nicht garantieren, dass ich in einer, zwei oder drei Wochen, vielleicht zwei Monaten, nicht wieder rückfällig werde und in den Abgrund stürze. Und ich hatte schon so oft nach all den Zusammenbrüchen versucht, in den Alltag wieder reinzukommen. Bis jetzt hat es ja auch geglückt, aber eben nie zu lange.

Die Abweisung bei der Einweisung

Am Weg zur Klinik dachte ich mir aber schon wieder: Eigentlich muss das ja nicht sein. Mir geht es ja gut. Diese Gedanken haben wohl viele, die in meiner Situation stecken. Die Entscheidung, stationär in Behandlung zu gehen, schreckt viele ab und ist für sie die ultima ratio, wenn gar nichts mehr geht. Wie lange würde ich dortbleiben müssen? Was, wenn ich das Meeting nächste Woche verpasse? Oder den Projektstart in drei Wochen, auf das ich mich schon eigentlich freute? Im Nachhinein denke ich mir: Warum halten wir so fest am Alltag fest, auch wenn es nicht mehr geht? Wäre es ein Beinbruch, würden wir das Bein auch schonen, bis er wieder Kraft hat. Hätten wir eine Grippe, würden wir auch in den Krankenstand gehen und uns erholen, bis wir wieder gesund sind. Aber mit psychischen Erkrankungen ist es anders. Da versuchen wir, die Krankheit zu überschatten mit unserem Alltag, mit all den Aufgaben und Terminen die Antriebslosigkeit und die schlechten Gedanken zu verdrängen. Weil psychische Krankheiten bei uns im Alltag und in der Gesellschaft immer noch nicht als richtige Krankheit angekommen sind. Oft sogar als Versagen. Die Stigmatisierung führt auch dazu, dass viele gar nicht darüber reden und sich schämen.

Dem Portier musste ich dann mal erklären, warum wir hier sind, damit er uns überhaupt auf das Gelände lässt. „Ich möchte mich einweisen“, sagte ich. Gut, wir werden durchgelassen, nachdem wir unsere Impfzertifikate gezeigt haben. Dann müssen wir beim Empfang noch einmal erklären, warum wir hier sind. „Ich wurde vor einem Jahr mit schwerer Depression diagnostiziert und möchte mich einweisen, weil ich vor 5 Tagen versucht hatte, mich umzubringen.“ Es ist gut, dass ich hier sei, sagte der Herr von der Triage. Gut, wir wurden also raufgeschickt zur ambulanten Begutachtung. Ein Mädchen hörte unser Gespräch mit und sagte zu mir, sie sei in einer ähnlichen Situation. Und wünschte mir viel Kraft, Gott wird das schon richten. Na super, dachte ich, muss ich mich auf Gott verlassen. Oben in der Aufnahme habe ich das Mädchen wieder gesehen, sie wirkte nicht sehr erfreut. Ich glaube, sie wurde abgelehnt und musste wieder nach Hause. „Frau Shi“, hörte ich nach ein paar Minuten, wir haben also nicht lange gewartet. Das läuft also schon mal besser als in Marseille, wo ich bei der Verlegung in die Psychiatrie 3 Stunden lang im Wartebereich gesessen bin. Ich ging ins Ärzt_innenzimmer, und die Ärztin fragte: „Erzählen Sie mal, was Sie hierhergebracht hat.“ Also musste ich zum dritten Mal erklären, warum ich hier war. „Ich wurde vor einem Jahr mit schwerer Depression diagnostiziert, es ist seitdem nicht besser geworden und ich habe versucht, mich umzubringen. Ich würde gerne stationär aufgenommen werden, weil ich mir selbst nicht vertraute“, so ungefähr die Kurzfassung meiner Erörterung.

In der Klinik wurde ich abgewiesen, weil ich kein akuter Fall sei. Es reicht anscheinend nicht, den Suizidversuch vor wenigen Tagen in Frankreich begangen zu haben – hätte ich ihn in Österreich getan, wäre ich nämlich untergebracht worden, aber jetzt bin ich kein akuter Fall. Danach bin ich mit Jakob eine halbe Stunde lang auf der Bank in der Wiese gesessen. Selbst die strahlende Sonne und das frühlinghafte Wetter machten die Situation nicht besser. Ich fühlte mich nicht ernst genommen, abgewiesen, und verzweifelt. Was soll ich nur machen? Ich komme ja nicht alleine durch den Tag. Ich war so verzweifelt, dass ich einfach nur nach Hause gehen wollte. Jakob hat das nicht zugelassen: „Evelyn, du bist am Arsch, du gehst jetzt sicher nicht alleine nach Hause.“ Also hat er sichergestellt, dass ich sicher zur Teresa komme, die mich schon erwartete.

Die Einweisung – Tag 1

Am Tag darauf hat mich meine Psychiaterin wieder ins Spital geschickt, in dasselbe. Dieses Mal wurde ich schnell aufgenommen. Davor hatte ich auch Kontakt zum Oberarzt. Anscheinend braucht man selbst in diesem Bereich Vitamin B, seufzte ich. Ich sagte der Oberärztin am Ende der Körperuntersuchung, dass ich es nicht gut fand, wie ich am Tag davor von ihr behandelt wurde. Man sollte Patient_innen generell, aber insbesondere Suizidale, nicht so behandeln. Ich wollte da einfach heimgehen und mich umbringen. Sie verneinte meine Anschuldigungen. Sie war im Einweisungsgespräch danach durchaus professionell, Ärzt_innen können so eine Kritik wohl gut vom Persönlichen trennen. Ich fragte sie, welche Gegenstände ich mitnehmen könne, ob ich auch Sportklamotten mitnehmen kann. Sie meinte: „Sie sind im Spital. Wieso wollen Sie Sportklamotten mitnehmen?“ Ich war ein bisschen verwundert, immerhin war Sport das Mittel für mich in den letzten zwei Jahren, das mich stabil gehalten hatte. Hier begann meine Vermutung, dass sie nur meine Krankheit sah und nicht meine psychische Gesundheit als Ganzes, was irgendwie absurd ist. Wir waren ja in einer Psychiatrie, wo es genau um das Mentale ging.

Nach meiner Aufnahme wurde mir mein Zimmer gezeigt. Es war ein großes Zimmer, mit hohen und breiten Fenstern, vier Betten mit viel Abstand zwischeneinander. In der Mitte stand ein runder Tisch aus Holz, an der Wand waren hellbraune Schränke, ein Waschbecken und ein kleiner Spiegel drüber. Die Krankenhausbetten hatten metallene Nachtschränke daneben, auch Licht und Steckdosen sogar. Natürlich schaut es aus wie ein Krankenhauszimmer, es ist ja auch eines. Aber es war auch ein nettes Zimmer. Eine Frau schaute neugierig zu mir und fragte gleich: „Wie heißt du?“ Wir stellten uns vor, sie wirkte nett, meine erste Begegnung hier. Danach habe mich ein bisschen ausgeruht, das ganze Rechtfertigen über meine Situation und warum ich hier sein möchte, war nämlich sehr anstrengend und hat viel Kraft gekostet. Warum liegt denn eigentlich die Beweislast bei mir, wenn ich schon so weit komme, dass ich eingeliefert werden möchte? Warum können sie nicht intern kommunizieren über das, was ich schon gesagt habe? Und warum konnten sie mich beim ersten Versuch nicht zumindest für eine Nacht hierbehalten, dass ich mich zumindest für eine Nacht sicher fühlte? Aber das war jetzt egal, jetzt war ich ja hier, in Sicherheit. Später ist ein Mädchen ins Zimmer gekommen, sie wirkte, als würde sie ihre Ruhe haben wollen, also schlief ich weiter.

Um 17 Uhr gab es Abendessen, bis dahin ist auch unsere dritte Zimmerkollegin von ihrem Spaziergang zurückgekommen. Man darf am Anfang gar nicht raus, die Raucher dürfen irgendwann runter zum Rauchen, und dann wird der Ausgang von 15 Minuten langsam auf mehrere Stunden etappenweise ermöglicht. Das Essen kam auf einem Servierwagen und der Pfleger hat uns unsere Portionen gegeben. Ich setzte mich zu den zwei Frauen dazu, die am Tisch aßen. Die Dritte hat am Bett gegessen, also haben wir ihr die Ruhe gegeben. Wir lernten einander besser kennen – (nennen wir sie) Julia hatte anscheinend am Tag davor Geburtstag, deswegen stand ein Blumenstrauß auf ihrem Nachtkasten, die Sachertorte hatte sie im Kasten versteckt, damit die Pfleger_innen nicht draufkamen, dass sie schon wieder Essen versteckte. Die Pfleger_innen kamen gleich wieder rein und nahmen das Geschirr mit, und auch die Plastikbecher – einen Becher durfte man zwar behalten, aber wenn sie beim Abräumen am Tisch standen, wurden sie mitgenommen. Das vergaßen wir oft, und jedes Mal war es so ein How-I-Met-Your-Mother Moment mit diesem Straßenteil, wo man Dinge hinlegt und sie dann einfach verschwinden.

Ein bisschen mehr Sicherheit am Tag 2

Die Medikamentenumstellung machte mich zwei Tage lang unglaublich müde. Zu Hause bin ich frühestens vor Mitternacht schlafen gegangen, oft blieb ich bis 5 Uhr wach, weil ich nicht einschlafen konnte. Jetzt war ich um 19 Uhr schon so müde, dass ich bis 7 in der Früh geschlafen hatte – da wurden wir dann aufgeweckt für das Frühstück und die erste Dosis an Medikationen kam um 7:30 Uhr.

Der zweite Tag verlief aber schon besser – wir haben im Zimmer angefangen, und fragten (nennen wir sie) Yvi, ob sie nicht auch am Tisch mit uns essen wollte. Das fühlte sich fast wie ein Brunch an. Alle waren wegen Suizidversuches hier, jede Person mit einer unterschiedlichen Geschichte, unterschiedlichen Symptomen, unterschiedlichen Stimmungslagen. Was uns verband war nicht nur der Suizidversuch oder die Depression, sondern dass wir auf einmal aus unserem Alltag, unseren Gewohnheiten und unserem Alltag gerissen wurden – wegen einer Krankheit, auf die wir viel zu spät Acht genommen haben. Julia fragte, ob der grüne Becher ihrer sei. Wir erinnerten uns daran, dass sie davor schon einen grünen Becher hatte, der dort gestanden ist, also wahrscheinlich war er ihrer.

In der stationären Psychiatrie werden verschiedene Therapieformen angeboten – alle nicht wirklich nachhaltig, sondern um die akute Gefährdung zu bekämpfen. In einer stationären Psychotherapiestation schaut das vielleicht anders aus, aber da kenne ich mich nicht aus. Man kann durch diese verschiedenen Möglichkeiten aber zumindest herausfinden, welche Therapieform einem am meisten zuspricht – das evaluiert man auch mit den Ärzt_innen, mit denen man zweimal in der Woche ein Gespräch führt, die Visite, abseits der Psychotherapie. Am Tag gab es mindestens zwei Therapiestunden, entweder Beschäftigungstherapie (wo man Mandalas anmalt, Sudoku löst, puzzelt oder einfach nur liest), Zeichen- und Maltherapie, Musiktherapie, Gesprächstherapie oder auch psychotherapeutische Therapie, Physiotherapie und Ergotherapie.

In der Ergotherapie Selbstgebasteltes von Artemis

Grundsätzlich ist das viel Programm, das man hat und welches den Tag auch füllt, wenn man die Essenszeiten miteinberechnet. Es war also gar nicht so wenig Beschäftigung und das hat wiederum geholfen, nicht den ganzen Tag im Bett zu verbringen mit den eigenen Gedanken und dass man in die negativen Gedankenspiralen kommt. Für Menschen wie (nennen wir sie) Artemis, die aber schon länger hier sind – in ihrem Fall zweieinhalb Monate – wurden aber auch die verschiedenen Therapieformen allmählich langweilig. Sie wünschte sich eigentlich mehr eine Tiertherapie mit Pferden oder Hunden. Oder vielleicht, dachte ich, etwas, wo sie ihren Hobbies nachgehen konnte, wie zB die Umgebung zu fotografieren. Aber das Programm stand fest, und viele der Therapeut_innen und Pfleger_innen wahrten ihre Distanz zu uns so, dass sie gar nicht wissen konnten, was unsere Interessen waren, als wir noch da draußen waren. Hier sind wir nur wandelnde Gestalten, die wieder gesund werden wollen. Und für sie ging das anscheinend nur mit Medikamenten und Therapien.

Ich habe da angefangen, ein Mandala auszumalen. Ich war überrascht, wie gut das tat. Ich sprach danach auch mit einem Pfleger aus meinem Umfeld über die Problemstellen in der Pflege. Sie las nämlich aus dem Brief meiner Psychiaterin, dass ich politisch aktiv war. Es gäbe viel zu wenig Personal, Prognosen zufolge soll es bis 2030 einen Mangel von bis zu 40.000 Pfleger_innen geben. Es bräuchte mehr Anreize, mehr Gehalt und eine Reduzierung der Stunden auf 38,5 Stunden.Während der Ausbildung als auch im Beruf sollten Anreize geschaffen werden. Die näheren Informationen fände man auf der Website der Gewerkschaft, die sich relativ stark in dem Bereich einsetzt, meinte sie. Zur Bewusstseinsbildung über die psychische Gesundheit schlug sie Aufklärungskurse in den Schulen vor, auch mehr Selbsthilfegruppen für psychisch Kranke als auch ihre Angehörigen. Nach dem Schweizer Modell. Oder war es Schweden? Ich kannte mich nicht aus und schrieb ihre Gedanken auf.

An diesem Tag hatte ich außerdem auch eine Visite – also ein Gespräch mit den Ärzt_innen über meinen Zustand und meinen Aufenthalt. In meinem Kopf drehten sich wieder die Gedanken darum, wie ich am besten meinen Zustand vermitteln kann, dass er ernst genommen wird. Dadurch, dass ich seit meiner Kindheit immer Stärke zeigen musste, hatte ich mir nämlich angelernt, immer gut gelaunt zu wirken und alles durchzustehen. Bis es irgendwann nicht mehr ging. Aber ich war ja heute auch eigentlich recht gut gelaunt, die Gesellschaft und die Sicherheit trugen wohl auch dazu bei. Und man ist ja, wenn man depressiv ist, nicht die ganze Zeit im Tief – und wenn, dann überschattete ich das auch meistens mit einem Lächeln und ein bisschen Schmäh. Ich kann das auch jetzt immer noch nicht abschalten, auch wenn es anstrengend sein kann. Dafür versuche ich wohl unbewusst, meine inneren Kämpfe mit anderen Mitteln zu zeigen, damit die Menschen um mich herum sie sehen. Die Appetitlosigkeit zB entwickelte sich zu einer Essstörung, wodurch ich innerhalb weniger Wochen 10 Kilo abnahm. Bitte seht, dass es mir schlecht geht, möchte ich damit vielleicht kommunizieren. Zumindest ist das meine Vermutung. Und das Bild in der Gesellschaft, dass schlanke Frauen die ideale Figur haben, half nicht dabei. Die Ärzt_innen bekommen bei so einer Visite jedenfalls nur eine Momentaufnahme. Und ich bekam auch ein bisschen das Gefühl, dass sie auch hier nur meine Krankheiten sahen, meine Stimmungslage, aber nicht mich als Menschen und meine Gedanken und Ängste. Im Nachhinein denke ich mir, dass es vielleicht besser wäre, wenn bei solchen Visiten auch ein_e Psychotherapeut_in dabei ist, oder am besten Fall die/der behandelnde Psychotherapeut_in. Oder dass man sich davor mit ihm austauscht. Die Ärzt_innen empfahlen mir nach dem Erstgespräch schließlich eine intensive Psychotherapie, entweder stationär oder auch in der Tagesklinik, und meinten, wenn es mir nach dem Wochenende besser ginge, könnte ich schon Anfang nächster Woche entlassen werden. Der Gedanke bereitete mir wirklich Angst, weil ich noch auf Hilfe angewiesen war, und sie schienen das nicht zu sehen, dachte ich.

Am Nachmittag kam der Physiotherapeut und fragte mich, ob ich mit ihm und Artemis spazieren gehen wollte. Ich war eigentlich noch sehr müde und meinte, ich würde schlafen wollen. Er wirkte recht hartnäckig, aber vielleicht könnte ich mich trotzdem rausreden, dachte ich. Artemis hat nach einer Weile gefragt, ob ich nicht doch mitkommen möchte, weil sie sonst alleine sei. Das hatte mich schließlich überzeugt. Wir gingen zum „Löwenbrunnen“, das stand vor dem „schönen“ Pavillon, das heute nur für Röntgen und solche Untersuchungen genutzt wurde. Schade, dachte ich, so ein Pavillon mit so einer Aussicht wäre ja eigentlich gut für eine Station. Wie die unsere. Der Gesichtsausdruck einer der Löwen, meinte der Physiotherapeut, hätte den Gesichtsausdruck von Otto Wagner selbst, erzählte er von der Legende. Danach saßen wir auf einer Bank, ich überredete ihn dass ich eine Zigarette rauchen darf und wir unterhielten uns über den Physiotherapiebereich. Auch hier gäbe es einen Mangel, meinte er. Das Auswahlverfahren ist recht streng und bei der Einteilung hätte man wenig Mitspracherecht, kritisierte er.

Yousef, einer meiner besten Freunde, brachte später einige Süßigkeiten mit – na gut, eigentlich war es ein Sack voller Süßigkeiten. Der Gedanke an Erdnussbutter und Nutella ging uns nicht aus dem Kopf, weswegen er uns die Leckereien besorgt hatte. Zu diesem Zeitpunkt durfte ich eigentlich noch keinen Besuch haben – das geht nämlich erst nach einer Woche – aber ich durfte zumindest zum Rauchen runter, und so wir haben wir zumindest ein paar Minuten Zeit miteinander verbracht. Oben in Zimmer 2 haben wir zu viert danach einen schönen zuckerreichen Abend miteinander verbracht, der unsere Probleme ein bisschen kleiner hat wirken lassen. Zumindest war das meine Wahrnehmung, andere kämpfen selbst während schöner Momente laufend mit ihren Gedanken. Jasmin fragte wieder, ob der grüne Becher ihrer sei. Wir sagten: „Ja, Jasmina. Der grüne gehört immer noch dir.“ Yvi saß wieder an ihrem Bett. „Willst du eine Banane mit Nutella?“, fragte ich. Sie lehnte lächelnd ab.

Freundschaften in der Psychiatrie – Tag 3

Am dritten Tag hatte ich mich schon besser eingefunden. Ich wusste, wo das Raucherkammerl war, wo die Badewanne war, wo die „fancy“ Toilette war mit der schönen Wanddekoration. Oder wie man das Bett am besten verstellt, dass nicht beide Seiten raufgehen. Artemis ist ja schon lange hier und die hilfreiche Person, die sie ist, hatte mir alle Geheimtipps gegeben. Ich entwickelte schon eine Routine, die mir gut tat. Ins Raucherkammerl durfte nur eine Person rein, es war eigentlich ein Bad mit Dusche, Waschbecken, offenem Fenster zum Durchlüften und ein Sessel davor. Es hat aber eigentlich nie jemand dort geduscht, das war ja das Raucherkammerl. So konnte man sich hinsetzen, die Beine an den Körper gezogen, den Kopf an der Wand angelehnt, den Ausblick auf die Stadt und das Meer (dazu später) genießend. Am Anfang habe ich noch die Tür wieder zugemacht und draußen gewartet, wenn jemand drinnen war. Später wusste ich, wer seine Ruhe haben wollte und zu wem ich mich gesellen konnte.

Dort habe ich auch (nennen wir ihn) Klaus kennengelernt, er kam zu mir ins Kammerl und fragte gleich nach meinem Namen. Er leidet an Schizophrenie und ich an Depression, mehr mussten wir nicht erklären. Wir sind beide hier, weil wir uns nicht vertrauten. Es ist aber gut, hier zu sein, was schon mal ein Schritt nach vorne ist, wir wollen ja beide gesund werden. Später habe ich auch (nennen wir ihn) Franz kennengelernt. Franz kam wegen eines Beinbruchs ins Spital und wurde dann in die Psychiatrie geschickt, weil er anscheinend Stimmen hört. Er streitet das aber ab. Ich bin mir eigentlich immer noch nicht sicher, was seine Geschichte eigentlich ist. Er hat keine Papiere und seine Brieftasche wurde vor seiner Einweisung gestohlen, meinte er. Eigentlich weiß ich gar nicht, ob er wirklich Franz heißt, aber was soll‘s. Er hört wenigstens darauf und seine zusammenhanglosen Kommentare und sein vor sich hin Murmeln fand ich erheiternd. Ich bin mir auch nicht sicher, ob er nicht ein bisschen dement ist, weil wir jeden Tag über das Gleiche redeten. Manchmal kam aber doch auch etwas Überraschendes, zB dass er früher am Karlsplatz in einem Club gefeiert hat, aber einmal ist er reingegangen und es war anscheinend eine „Grufti-Party“. Das wusste er nicht, bis er dann so einen Typen vor sich sah, mit schwarzer Kleidung und weiß geschminkten Gesicht. Er reagierte nur mit: „Hoppla!“. Seitdem teile ich Zigaretten mit ihm, er hat ja kein Geld, und kommt wegen des Rollstuhls auch nicht zum Automaten.

Heute fand die Durchgangsvisite statt, die Ärzt_innen kamen also zu dir ins Zimmer. So wie in Grey’s Anatomy. Sie meinten wieder, ich könnte wahrscheinlich Anfang nächster Woche raus. Dann meinten sie: „Sie sind ja auch anscheinend bei den NEOS und twittern über ihren Aufenthalt hier.“ Ich bekam auf einmal ein banges Gefühl, das sich als richtig herausstellte. Irgendwie ist mein Tweet über den Aufenthalt hier zu ihnen gekommen und sie verbaten mir zu twittern. Einerseits wohl, damit ich mich ausruhe und nicht am Handy hänge, aber andererseits wollten sie es einfach nicht, dass ich aus der Psychiatrie berichte. Aber wie sollen wir was am System ändern, wen man nicht weiß, was da zugeht? Und vor allem dieser Bereich brauchte ja so viel Änderung.

Dann besuchte ich die Beschäftigungstherapie und dann kam eh schon wieder die nächste Mahlzeit, wir zeigten Julia ihren grünen Becher, und so weiter. Ich fragte Yvi  auch wieder, ob sie eine Banane mit Nutella wolle. Sie lehnte wieder lächelnd ab. Seit meiner Aufnahme denke ich auch an die schönen Momente, die ich in den letzten Tagen mit meinen Freund_innen erlebt habe: Jakob zeigte mir zum Beispiel am Weg zum Spital, wie ich mir vorstellen könnte – Achtung, jetzt kommt die Erklärung zum Meer – dass die entfernte Stadt und die Berge wie Meer ausschauten. Ich müsste hinschauen und gleich wieder den Kopf wegdrehen, dann schaut es kurz so aus, als wäre da das Meer. Oder Teresa, die mich auch eine Nacht lang aufgenommen hat und mir beim Zeigen ihrer Wohnung und ihrer Küche Nüsse in das Apfelmusglas wirft und sie wieder mit einem Löffel rausfischt und manchmal sagt: „Ah, Überraschungsnuss!“ – über die Nüsse vom letzten Mal.

Das Meer.

Wenn ich wirklich Anfang nächster Woche entlassen werde, waren das ja bloß 4 Tage bis dahin. Die Pflegerin in der Beschäftigungstherapie hat außerdem gemeint, dass die Ärzt_innen generell darauf schauten, dass wir nicht zu lange bleiben. Sonst könnte man sich daran gewöhnen und Gefahr laufen, es draußen gar nicht mehr alleine zu schaffen. Hospitalisierung nennte sie das. Guter Punkt, dachte ich. Ich habe mir also vorgenommen, dass ich ab jetzt versuchen würde, den Alltag mehr in den Griff zu kriegen, um mich für die Entlassung vorzubereiten und den Alltag da draußen: Nicht die ganze Zeit zu schlafen, vielleicht ein zwei Tätigkeiten nachzugehen, wie zB die Erfahrungen jetzt niederzuschreiben. Das ist nicht so anstrengend wie handschriftlich Tagebuch zu schreiben, das wird nach einem Satz anstrengend. Das Sudoku hat geholfen, mein Gehirn ein bisschen anzustrengen, was auch nicht einfach war.

Eine Begegnung hat mich besonders berührt, und ich hoffe, dass wir auch nach meiner Entlassung sehr lange in Kontakt bleiben werden: Das erst 19-jährige Mädchen wurde kurz nach Studiumbeginn so abrupt aus ihrem Alltag entrissen. Die Depression war schon länger diagnostiziert worden – nicht aber das borderline-Syndrom, man hatte ihr Verhalten davor als „pubertär“ abgestempelt. Sie kämpft jeden Tag mit ihren Gedanken und ist schon seit 2 Monaten hier. Die Therapieformen hier, auch wenn sie als Unterkategorien auch noch verschiedene Varianten anboten, waren mittlerweile auch schon langweilig, was sehr nachvollziehbar ist. Und warum konnte man die Therapien denn eigentlich nicht nach den Aufenthaltsdauern staffeln? Dass man auch bei längeren Aufenthalten zu etwas Neuem kommt? Und das Essen war auch langweilig, das war nämlich alle 2 Wochen das gleiche. Julia war auch schon einmal hier, 5 Wochen lang, und da wurde es ihr schon fad. Wie ist das dann nach zweieinhalb Monaten? Wenn man sich in diese schwierige Situation, die so viel Kraft braucht– Kraft, die wohl die wenigsten Gleichaltrige aufbringen mussten – hineinversetzt und versucht zu verstehen, macht das ja auch irgendwo Sinn. Warum sie weglaufen will, raus aus dem Zimmer, raus aus der Klinik, raus aus dem Gebäude, raus aus der eigenen Haut. Auch wenn wir die gleiche Diagnose haben, leidet sie viel mehr darunter. Ich möchte hier auch gar keine Erinnerungen von ihren schlechten Gedanken, ihrem Kampf mit den Anspannungen und der Gelähmtheit durch die Medikation festhalten, auch wenn ich sie nie vergessen werde. Denn das machte sie nicht aus, das waren ihre Krankheiten.

Eine Begegnung, die zur Freundschaft wurde. Artemis

Die eigenen Gedanken zu verstehen ist kein Selbstverständnis – Tag 4

Der nächste Tag war der Freitag, ich hatte also noch ungefähr 3 Tage, um wieder auf die Beine zu kommen. Neben dem Erfahrungen aufschreiben und dem Sudoku lösten gab es noch andere Sachen, die noch schwierig für mich waren und an denen ich arbeiten wollte. Dabei kam mir aber auch die Erkenntnis, dass wir in dieser Klinik so wenig Kontakt zu anderen Menschen haben. Wir verstehen uns zwar gut im Zimmer, essen beisammen und reden miteinander – aber wenn ich in die anderen Zimmer, wenn ihre Türen offen waren, hineinsah, sah ich nur Körper in ihren Betten, die sich nicht bewegten. Außerdem berührten wir uns ja nicht, es gab dazu keine Gelegenheiten. Es war jetzt nicht so, als ob wir Bekanntschaften wären, die sich bei der Begrüßung umarmten, und die Pfleger_innen siezten uns, um eine bestimmte Distanz zu wahren. Außerdem sind wir sind ja auch nicht mit Freund_innen eingewiesen worden. Für mich war das jetzt nicht so schlimm, ich war ja erst wenige Tage hier. Für Patient_innen aber, die über zwei Wochen da waren, oder in Artemis‘ Fall über 2 Monate, muss das doch hart sein, dachte ich. Ich erinnerte mich an den ersten Lockdown zurück, wo ich alleine wohnte und über 2 Monate niemanden berühren konnte, und was es mit meinem Kopf und meinem Körper gemacht hatte. Also fingen wir im Zimmer an, uns vor dem Schlafengehen und nach dem Aufstehen zu umarmen. Ich bin mir nicht sicher, ob die Pfleger_innen oder die Ärzt_innen darauf überhaupt Bedacht darauf nehmen – sie waren zwar alle wirklich nett und versuchten ihr Bestes, uns zu helfen. Aber sie müssen erst mal in der Situation sein, sich einsam zu fühlen, um uns zu verstehen. Was ich auch nicht ganz verstehe ist, warum die Pfleger_innen so darauf achteten, dass wir untereinander auch eine Distanz wahrten. Sie freuten sich zwar – bzw. waren am Anfang sogar überrascht – wenn sie uns gemeinsam am Tisch essen sahen, aber für sie gab es anscheinend irgendwo eine Grenze. Es war zum Beispiel nicht okay, dass wir Artemis‘ Gespräch mit ihrem Vater mitbekamen, dass sie seit langem wieder Suizidgedanken hatte, und wir die Pfleger_innen deswegen gerufen hatten. Sie solle den anderen Patient_innen nicht Sorgen bereiten, meinte man. Und wo sie bei den Pfleger_innen war, war es nicht okay, dass ich am Gang stand um zu sehen, ob es ihr gut ginge. Ich solle ins Zimmer, hat es geheißen. Aber mit Artemis am Gang Ball spielen, damit sie vom Weglaufen wollen abgelenkt ist, war irgendwie okay.

Nach meinem Aufenthalt ging ich die Patient_innen besuchen, mit Sachen die sie von draußen brauchten, und Spielen. Die Pfleger_innen haben mich aber rausgeschmissen, weil das kein „Treffpunkt“ sei und es außerdem keine freundschaftliche Beziehung zwischen Patient_innen geben solle. Eine medizinische Begründung haben sie mir nicht gegeben.

Heute hatte ich die erste Psychotherapiestunde und in den 60 Minuten habe ich gefühlt mein ganzes Leben verstehen gelernt. Warum ich so bin, wie ich bin. Woher das kommt, und wie ich das kontrollieren kann. Ich stellte mir einen braunen Bären vor, der schützend die Arme um mich legt. Diesen starken Bären habe ich wohl früh in meiner Kindheit entwickelt, der meine Verletzlichkeit und mich beschützte. Dadurch wirke ich immer stark, ohne meine Sensibilität zu zeigen. Der Bär ist auch heute noch da, auch wenn ich jetzt versuche, ihm eine andere Aufgabe zu geben. Ich verstand jetzt auch, warum ich mich oft einsam fühle. Vor allem, wenn ich abgewiesen werde, oder das Gefühl hatte, abgewiesen zu werden, auch wenn das gar nicht stimmte. Ich verstand, dass ich oft nur die Erwartungen anderer erfüllte, egal ob sie sie tatsächlich hatten oder ich sie mir nur eingebildet hatte. Es reicht ja eigentlich zu wissen, dass ich das Beste tue, was in meiner Macht stünde und wozu ich fähig war. Es bereitet mir ja Freude, etwas für andere zu tun. Aber nur, wenn ich es will und nicht, weil ich mir einbilde, dass andere das wollen. Das Gefühl, andere nicht enttäuschen zu wollen, macht das Ganze nicht einfacher, sondern führt zu diesem Teufelskreis, der meine existenzielle Angst begründet.

Im Raucherkammerl unterhielt ich mich dann wieder mit Franz. Ich machte ihm jetzt, wenn wir gemeinsam rauchten, die Tür auf und auch hinter ihm wieder zu, weil er im Rollstuhl sitzt und sich sonst dauernd drehen muss, um den Türgriff zu erreichen. Er meinte, die Rollstuhlstangen wären zu kalt, das spürt man auch durch die Krankenhaushosen, die eigentlich bis zum Knöchel gingen. Er hat sich überlegt, einen Pullover rundherum zu wickeln, aber das bräuchte halt viel Platz. Wir sind dann auf die Idee gekommen, Verbandszeug dafür zu verwenden. Das dämmt die Kälte und braucht nicht viel Platz. Also ging ich zu den Pfleger_innen, die wieder in der Küche saßen, und fragte nach Verbandszeug. „Es ist nichts passiert, keine Sorge“, fing ich an und versuchte, die Situation zu erklären, dass sie Sinn macht. Die Pflegerin meinte scharf: „Na sicher nicht, da wird nichts drumherum gewickelt“, meinte sie mit einem Dialekt, den ich nicht ganz zuordnen konnte. Verbandszeug durften wir auch nicht verwenden, weil das „zweckentfremdet“ sei. Ich durfte nicht einmal Verbandszeug „reinschmuggeln“. (Nennen wir ihn) Martin – ich bin mir nicht sicher, wie seine Funktion hier genau heißt, aber für mich war er der nette Pfleger – kam nachher heimlich zu mir und schlug vor, Waschlappen zu verwenden. Das könnte tatsächlich funktionieren, wir bräuchten nur etwas, das die Waschlappen an der Stange festhält. Zurück im Zimmer erzählte ich den Frauen davon und wir dachten gemeinsam darüber nach, wie wir Franz helfen könnten. Bei der Ergotherapie könnten sie Kabelbinder mitnehmen. Oder gleich lange Socken für ihn stricken. Wir sagten Franz mal nichts davon, falls was schief geht. Aber es war schön zu fühlen, dass die Sorgen einer anderen Person uns noch näher zusammenbrachte. Ja, und sonst war das Gespräch mit Franz halt so wie immer, also auch mit den gleichen Gesprächsthemen, er scheint vergessen zu haben, dass wir schon mal darüber geredet hatten.

Ein unvergessliches Wochenende

Das Wochenende verläuft recht langweilig im Spital. Es gibt keine Therapiestunden, nur die Mahlzeiten. Für viele ist das eine Herausforderung, weil sie dann Gefahr laufen, den ganzen Tag im Bett zu liegen. Dadurch, dass es mir in der Nacht nicht so gut ging und sie von Alpträumen geplagt war, ich deswegen in der Früh sehr angespannt war, ging ich zum Spazieren raus. Mittlerweile durfte ich für 15 Minuten raus. Ich habe mir das Areal angeschaut, die Otto-Wagner-Kirche, und habe die doppelte Zeit gebraucht, um wieder zurückzufinden. Das Gelände ist verwirrender, als man denkt. Als ich endlich zurückgefunden hatte, klopfte ich bei den Pflegern an, die gemütlich in der Küche saßen, und entschuldigte mich für meine Verspätung. Man muss hier beim Spazieren gehen nämlich ein- und auschecken. Aber anscheinend war das nicht so wild, vielleicht hätten sie die Verspätung auch gar nicht mitbekommen, hätte ich nichts gesagt.

Zimmer 2 hat den Samstag damit verbracht, dass zumindest eine halbe Stunde draufgegangen ist, mobile Friseure zu finden. Yvi hatte nämlich auf einmal die Idee, oder eigentlich das Verlangen, ihre Haare schneiden und stylen zu lassen. Artemis war auch sofort begeistert von der Idee. Und wir hatten tatsächlich die Pfleger_innen dazu gebracht, einen mobilen Friseurbesuch zu gestatten. Also mussten wir jetzt nur noch jemanden finden, der das (halbwegs kostengünstig) machte und das in einem Spital. Also, wie erklären wir das am besten? „Hallo, machen Sie auch Hausbesuche? Wir sind nämlich in der Psychiatrie und kommen nicht raus“? Aber es hat tatsächlich funktioniert, zumindest einen Termin für Dienstag zu bekommen. Yvi hat aber trotzdem frustriert ausgesehen, dass es dieses Wochenende nicht geklappt hat. Julia hat währenddessen ihre Geburtstagsblumen sortiert und die verdorbenen entsorgt. Weil sie außerdem zu wenig Wasser trinkt und dadurch einen niedrigen Blutdruck hat, hatten wir eine Challenge begonnen: Wer zuerst bei 10 Bechern am Tag ankommt, darf das Nutellaglas haben. Das haben wir bis Ende meines Aufenthalts nicht geschafft (zumindest habe ich es nicht zugegeben). Sonst bin ich immer wieder mit Yvi rausgegangen zum Rauchen, wir haben dabei ein paar Yogaübungen gemacht, damit wir uns ein bisschen mehr spüren. Ich bin mir nicht sicher, wie das ausgesehen hat – zwei Frauen vor der Psychiatrie, die ihre Füße berühren und sich selbst umarmen. Aber egal, hier durften wir alles.

Am Abend hatte ich es geschafft, ein bisschen mehr mit den anderen ins Gespräch zu kommen als mich alleine vom Tag auszuruhen in meinem Bett, und bin in den Gemeinschaftsbereich gegangen, wo Yvi, Julia und (nennen wir ihn) den Spielemeister gespielt hatten. Franz saß daneben und hat zugeschaut. Bei der nächsten Runde spielten wir auch mit, der Spielemeister erklärte uns die Regeln. Generell hat er auch immer allen Spielern geholfen, auch wenn er dadurch verlieren könnte. Er wollte einfach nur spielen. Um 8 Uhr kam der Joghurt-Servierwagen, die mit Erdbeergeschmack waren schnell vergriffen. Währenddessen ging das Spiel weiter. Franz hat jedes Mal am Ende seiner Runde vergessen, eine Handkarte auf den Tisch zu legen. Ich bin mir aber nicht ganz sicher, ob er nicht nur so tat, denn er hat wirklich gut gespielt. Vielleicht war er früher auch so ein Schüler, die nach einer Schularbeit ein „schlechtes Gefühl“ hatten und dann den Einser abkassierten. Er murmelte auch wie immer vor sich hin, man musste aber genau zuhören, um den Schmäh zu hören. „Sugar Baby“ murmelte er irgendwann. Ich lachte laut auf, und er rechtfertigte sich: Ich will den Zuckerbecher haben, der dort steht. Meistens war es ihm egal, ob man seinen Schmäh hörte, oder er hatte sich daran gewöhnt, dass die Menschen ihm nicht zuhörten. Auch heute fragte ich wieder, ob Yvi eine Banane mit Nutella wolle. Heute meinte sie: „Ach, was soll’s“, griff zum offenen Nutellaglas und aß so viel Nutella, wie er auf den Zeigefinger passt. Ziel erreicht, zumindest teilweise, dachte ich.

Die Nacht auf Sonntag war keine besondere. Ich habe vor Alpträumen laut aufgeschrien und bin benebelt aufgewacht, unsicher ob es Träume waren oder Realität, Julia hat wieder ihr Bett vollgeschwitzt (ohne dass es riecht) und hat in der Früh Kleidung und Decke aufgehängt, Artemis war wieder einmal im Medikamentenkoma, und Yvi hat mitten in der Nacht Eier gegessen.

Nach dem gemeinsamen Frühstück (und Umarmen) habe ich mich endlich raus getraut, um beim Trafikautomaten, der neben dem verlassenen Friseurpavillon steht, Zigaretten zu kaufen. Gleich vier Packungen, eine bekommt der Franz. Yvi hat mich begleitet, was gut war, ich hätte mich alleine wahrscheinlich trotz genauer Wegbeschreibung doch verlaufen. Ich weiß, dass es nicht gesund ist, aber diese Zigarette am Morgen hilft ein bisschen, in den Tag zu starten. Und das Spazieren neben Yvi – ohne Worte, einfach nur nebeneinander den Kiesweg wieder hinaufgehen und die frische Luft und die Morgensonne im Gesicht genießen – tat gut. Vor dem Pavillon haben wir Klaus gesehen. „Hey Klaus!“, schrie ich aus der Entfernung. Plötzlich hörten wir eine Frauenstimme: „Morgen!“. Sie war auf dem Balkon im Erdgeschoß, vergittert, aber eigentlich war es ein schönes Gitter, und man gewöhnte sich wohl sowieso schnell daran. „Wie geht’s?“ fragte ich, wie als würden wir normal Smalltalk führen. „Scheiße“, meinte sie, „absolut nüchtern“. Klaus fragte ich dann das gleiche, Yvi ging währenddessen schon rauf. „Nicht gut“, antwortete er. „Von einer Skala von 1-10?“, fragte ich nach. „100“, erwiderte er. Gut, machen wir mit Klaus auch Atemübungen und den Sonnengruß, den man vom Yoga kennt. Die Atemübung haben etwas geholfen, Yoga wollte er nicht machen. Männer unterschätzen die Wirkung von Yoga und vom Muskeldehnen, dachte ich. Drinnen in der Stiege fragte ich dann, ob er eine Umarmung will. „Ja“. Wir umarmten uns innig und ich konnte spüren, wie er diese Berührung brauchte und wie sie seine Anspannung zumindest etwas löste. „Du bist nett“, murmelte er leise. Gut, dann machen wir das jetzt auch zweimal am Tag. Im 2. Stock (eigentlich 3. Stock) verabschiedeten wir uns dann, Franz saß im Eingangsbereich und ich schmiss ihm eine Packung Zigaretten zu, so musste er nicht dauernd fragen.

Ich ging jetzt öfters mit Yvi runter zum Rauchen. Wir saßen uns jedes Mal auf die „Sonnenbank“, wo die Sonne hinschien, oder wenn sei besetzt war auf den großen Baumstamm daneben. Jedes Mal wehte der starke Wind unsere Masken und Zigarettenpackungen weg, wir lernten irgendwie nie davon, sie besser zu halten. Mit Martin verstand ich mich auch immer besser. Am Nachmittag fragte ich, ob er uns heimlich mit Kaffee versorgen könnte, die nächste Kaffeepause, wo der Servierwagen mit Striezel und Kaffee vorbeifuhr, war nämlich noch 2 Stunden entfernt und Yvi wurde langsam unruhig ohne der Koffeinzufuhr. Heute bekam ich auch wieder Besuch. Die 15 Minuten wurden dann wieder zu 30, und am Rückweg sah ich den Pfleger und die Patient_innen wieder in unsere Richtung gehen, ich verabschiedete mich schnell von Matin (ein anderer – so heißt er wirklich, und Steffi war oben wieder über den Zaun zu ihrer Familie geklettert und wir hatten uns daher bereits verabschiedet) und lief zurück in die Psychiatrie. Später meinte Martin: „Komm mal nach vorne bitte.“ Ich dachte schon wieder, ich kriege Ärger. Das habe ich mir wohl auch von meiner Kindheit angewöhnt, als meine Mutter mich oft zu sich rief, wo ich meistens Ärger wegen etwas bekommen hatte. Martin wusste, dass ich mit einem Besucher spazieren war, und ich dachte dass er versuchen würde, eine Eskalation mit dem Pfleger zu mediatieren, weil ich so lange weg war. Aber er hat mir nur ein Törtchen gegeben, also noch mehr Süßigkeiten, jedenfalls sehr lecker.

Mit Yvi im Raucherzimmer haben wir uns dann gemeinsam das Meer vorgestellt. Der Wind hört sich dann an wie die Wellen. Und die Sonne, als würden wir am Strand liegen. „Ich gehe dann gleich Wellenreiten“, meinte sie. „Oh, kannst du das?“ „Nein“, erwiderte sie. Wir lachten so leicht und laut, wie ich lange nicht mehr gelacht hatte. Wären wir nicht in der Irrenanstalt, gehörten wir wohl da hin, meinte ich dann.

Nach dem Abendessen spielten Julia, der Spielemeister und ich wieder Skip-bo. Yvi ist früher schlafen gegangen, sie war müde, weil sie in der Nacht davor länger aufblieb. Der nächtliche Medikamentenservierwagen ist nämlich anstatt um 21 um 22 gekommen, das haut ihren Rhythmus zusammen. Franz hat auch nicht mitgespielt, er saß im Gemeinschaftsraum und hat sich seine Autoshow im Fernsehen angeschaut. Also spielten wir zu dritt zwei Runden. Es ist ein komisches Gefühl, wenn man nicht weiß, ob heute der letzte Abend hier ist. Soll ich mich schon von allen verabschieden? Soll ich einen letzten Blick auf das Lichtermeer werfen und den hereinströmenden Wind im Raucherkammerl genießen? Wir spielten also zwei Runden, zwei sehr gute Runden. Ich weiß sehr wenig vom Spielemeister, außer dass er nicht (wie ich anfänglich dachte) einen spanischen Namen hat, sondern einen slawischen, aus Kroatien. Ich muss auch nicht viel über seinen Hintergrund wissen, oder weswegen er hier ist, oder wie lange er bleibt. Für mich war er der Spielemeister. Im Raucherkammerl plauderte ich auch noch einmal mit Franz, ich wusste nicht, ob das unser letztes Gespräch werden sollte. Dieses Mal hatte ich mehr Kraft, um in ein Gespräch einzusteigen und erzählte ihm, dass das vielleicht mein letzter Abend hier ist. „Dich hat ein Engel geschickt“, erwiderte er. Dann lachten wir noch, so richtig herzhaft und laut, über seine Kommentare und seine Geschichten. Und wir nahmen uns vor, würden wir uns morgen noch sehen, würde ich ihn mit 30 km/h durch den Gang schieben. Julia meinte später, 20 km/h würde sie mir zutrauen. Es waren dann wohl 10, wenn überhaupt.

Tag der Entlassung – Tag 7

Der Montagmorgen war voller Programm. Um 7 wurden wir aufgeweckt, ich war wieder müde von den Alpträumen, wo ich wieder aufgeschrien hatte. Yvi hat in der Nacht anscheinend auch wieder gesnacked, Artemis war im Medikamentenkoma und Julia hat das Bett wieder vollgeschwitzt (aber nicht riechend). Nach der Guten Morgen Umarmung und nach dem Frühstück kamen die Medikamente, dann der Coronaabstrich. Artemis kam zurück und meinte, es wäre eine Schlange da. Ich ging trotzdem hin, Yvi folgend. Ich wollte in der Schlange stehen, und die anderen Patient_innen wiedersehen. Bald kam nämlich die Visite und vielleicht würde ich die anderen Patient_innen danach ja nicht mehr sehen. Klaus stellte sich hinter mir an und wir umarmten uns, das tat wieder gut. Er fragte dann, ob ich einen Freund habe, und ich verneinte es. Er meinte, er hätte auch keine Freundin. Ok, geht Flirten in der Klinik anscheinend auch, dachte ich mir und schmunzelte. Beim Coronaabstrich fragte mich der Pfleger, wie es mir ginge. „Sehr gut“, meinte ich. Das entsprach ja auch der Wahrheit. Ich war bereit, entlassen zu werden. Er gab mir dann den Tipp, bei der Visite nicht zu aufgeregt zu wirken, das könnte nämlich in die falsche Richtung gehen, dass sie mich hier lassen, weil es zu schnell ins Hoch gegangen ist. Aber das wollen sie wahrscheinlich eh nicht, dachte ich, die wollen ja nicht, dass ich noch länger von hier aus twittere, da hatten sie mich letztes Mal schon ermahnt. Er erwähnte das auch tatsächlich. Ich fragte ihn ungläubig, ob sich das so schnell rumgesprochen hätte. „Mädel, das spricht sich schneller rum als wenn ich furze“, meinte er.

Ich ging meinem Morgenritual wieder durch, ging in das Raucherkammerl, sagte „Hi Franz“ und wir redeten wieder über die gleichen Themen wie jeden Tag. Mir kam vor, als würde er heute weniger murmeln. Ich versprach ihm, die Tage seine Lieblingszahnpasta und zwei Zahnbürsten (einmal weich und einmal mittel) mitzunehmen. Er versprach mir, dass er – egal ob er etwas braucht oder etwas will – den Mädels von Zimmer 2 Bescheid geben würde, damit ich ihm die Sachen besorgen könnte. Er hatte ja kein Handy. Und kein Geld bei sich, seine Brieftasche wurde ja gestohlen. Später, als ich auf Besuch kam (und rausgeschmissen wurde), habe ich ihn dann tatsächlich, 5 Minuten nachdem ich ihm seine Sachen gebracht hatte, beim Zähneputzen erwischt.

Die Visite verlief gut, mir ging es sehr gut und ich unterschrieb meine Entlassungspapiere. Ich freute mich wirklich, entlassen zu werden. Wie schnell sich die Stimmung ändern kann, dachte ich mir. Ich legte mich wieder ins Bett und hörte meine Morgenmusik. Artemis hatte mittlerweile erfahren, dass in der anderen Klinik ein Bett frei sei, ihrer Verlegung stand also nichts mehr im Weg. Wir waren so glücklich, dass wir uns mehrmals umarmten. Das war ein Neuanfang, für uns beide. Wir würden die Klinik hinter uns lassen, aber die Erfahrungen mitnehmen. Wir würden auf jeden Fall verbunden bleiben. Und es war so schön, Artemis in diesem Moment mit Lebensenergie zu sehen. Dann hatte ich noch eine letzte Stunde Psychotherapie, dann kam auch schon wieder das Mittagessen. Ich genoss danach noch ein letztes Mal eine Banane mit Nutella und das war’s dann auch schon. Ich ging noch einmal herum und verabschiedete mich von Klaus, Yvi, Julia und Artemis. Sie versprachen mir, dass sie sich weiterhin umarmen würden. Und dass wir alle schon wieder werden. Dann schob ich Franz durch den Gang und auch ihn umarmte ich ein letztes Mal und wir wünschten uns alles Gute. Und dass wir so bleiben, wie wir sind. Ohne unseren Krankheiten.

Ich ging nach links und dann den Kiesweg runter. Dieses Mal nicht zur Trafik, sondern raus. Am Weg nach Hause, dem Weg folgend, den ich schon so oft gefahren war, kamen wir bald an. Wollen wir mal nicht darüber sprechen, dass ich meinen Schlüssel in der Klinik im Kasten in Zimmer 2 vergessen hatte und Artemis mich auslachte (zumindest hab ich ihr Freude dadurch bereitet) und dass ich zur Polizei am Nussdorfer Platz gegangen bin, die zum Glück immer noch meinen Zweitschlüssel hatten – sie hatten nämlich gemeinsam mit der Rettung meine Tür aufgebrochen, weil meine Psychiaterin sie angerufen hatte, nachdem sie meine verpassten Anrufe in der Früh nach meinem Suizidversuch gesehen hatte und mich nicht erreichen konnte. Aber ja. Jetzt war ich zu Hause. Ich würde dann zuerst mal aufräumen, das würde sich ein bisschen so anfühlen, ein Kapitel abzuschließen. Auch wenn es lange noch nicht abgeschlossen sein wird, ich werde weiterhin mit einer intensiven Psychotherapie an meinen Krankheiten arbeiten. Aber es hat sich doch irgendwie wie ein Neuanfang angefühlt.

Zu Hause

Mittlerweile hörte ich von Artemis, dass sie gut in der anderen Klinik angekommen war, dass die Ärzt_innen ihr dort mehr vertrauten als hier und dass sie sich frei bewegen könnte. Sie fühlte sich schon besser dort. Wahnsinn, wieviel die Vertrauensbasis bzw. die Beziehung zum/zur Arzt/Ärztin ausmacht, dachte ich.

Nachdem ich mit dem Gröbsten beim Aufräumen fertig war, machte ich das Fenster auf, leerte den Aschenbecher aus, den ich seit Monaten nicht mehr ausgeleert hatte, weil ich die Sauberkeit immer mehr vernachlässigt hatte aufgrund der Depression. Ich zündete eine Zigarette an, das Packerl hatte ich am Gelände gekauft, wo man vom Spital aus links abbiegen und dann den Kiesweg runtergehen musste, dort gab es ja den Automaten. Ich schaute, wie die Menschen vorbeigehen und bemerkte, dass das Gesicht vieler vorbeigehender Menschen mit einem Lächeln geschmückt war. Das war mir früher nicht so aufgefallen. Vielleicht fallen mir die Mimiken der Menschen mehr auf, weil die der Patient_innen oft ausdruckslos waren, meistens wegen der Medikation. Ich sah das Kind am Kinderrad, das in den Park reinradelte. Ich sah den älteren Herrn, der mit dem Fahrrad langsam an mir vorbei die Straße raufradelte. Die Autos, die neben ihm vorbeifuhren. Ich dachte mir sofort: Da braucht es wirklich einen Radweg. Also war mein Kopf wieder in der Bezirkspolitik. Ich schloss meine Augen und fühlte die Sonne auf mein Gesicht strahlen. Hier fühlt sich der Sonnenschein kühler an. Oder vielleicht ist er mir im Raucherkammerl nur stärker vorgekommen, weil ich noch im Dunkeln war. Zum Glück bin ich am Leben, dachte ich mir.

Danke!

Vielen Dank an alle, die die letzten Wochen mit mir durchgestanden sind. Nicht nur meine Freund_innen, die nach dem Selbstmordversuch in Frankreich für mich da waren, nicht nur die Freund_innen, die mich während meines Aufenthalts besucht hatten (und Bananen und Süßes reingeschmuggelt haben, denn die Bananen waren ja schnell vergriffen), nicht nur Zimmer 2 und alle, die ich in der Klinik kennengelernt hatte. Auch alle, die mir Blumen geschickt hatten, und alle, die mir über Social Media geschrieben hatten. Teilweise Unbekannte, die über Twitter auf mich gekommen sind und Mandalabücher für Zimmer 2 kauften. Ich werde diese Erfahrungen nicht vergessen und sie immer mit mir tragen. Vor allem die Frauen in Zimmer 2 werde ich immer im Herzen behalten. Ich hoffe für alle, die an psychischen Erkrankungen leiden, verstehen, dass der Klinikaufenthalt nicht die ultima ratio sein sollte. Es gibt Tageskliniken, stationäre Kliniken für längere Aufenthalte und die akute Psychiatrie, wo ich jetzt war. Also viele Möglichkeiten, wenn die „normale“ Therapie nicht mehr ausreicht. Die ultima ratio sollte die 144 sein, die man ruft. Aber dazu kommt es hoffentlich nicht. Jedenfalls muss man aber auch die Problemstellen in dem Bereich angehen. Die fehlenden Therapiekassenplätze, die fehlenden Plätze auf den Psychiatriestationen – dass Menschen, die sich einweisen wollen, das auch tun können und zumindest eine oder ein paar Nächte bleiben können, um sich zu stabilisieren – , und die Pflege und die Therapien gehen dabei Hand in Hand. Und die fehlende Empathie der Pfleger_innen und Ärzt_innen über unsere mentale Gesundheit als Ganzes. 13 Millionen werden dafür nicht reichen.

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