Welche Gefühle darf ich zulassen? Der Unterschied zwischen Gefühlen und Emotionen

Gefühle und Emotionen werden oft synonym verwendet. Dabei unterscheiden sie sich eigentlich gewaltig. Es gibt fünf Grundgefühle: Angst, Schuld, Scham, Freude und Trauer. Sie sind Reaktionen auf bestimmte Auslöser und bilden das primäre emotionale Netz und sind bei den meisten Menschen gleich. Höhenangst zum Beispiel.

Sind uns bestimmte Reaktionen vertraut und mit bestimmten Auslösern verbunden, die uns in der Vergangenheit geschädigt haben, handelt es sich um Emotionen. Das sekundäre emotionale Netz wird aktiviert. Diese können überproportional gefühlt werden als bei anderen Menschen. Wenn jemand oft verlassen wurde oder in der Kindheit keine Liebe erfahren hat, kann die Trennungsangst also größer sein als bei jemandem, der nie Beziehungsprobleme hatte.

Jedes Gefühl hat eine Kraft- und eine Schattenseite. Das hat mich überrascht, weil ich zum Beispiel die Wut, Angst, Trauer und Scham immer als negativ bewertet habe.
– Die Wut und die Angst können aber Grenzen aufzeigen, durch die Wut kann man sie auch äußern. Und die Angst kann die eigene Kreativität fördern und hat daher eine Schöpfungskraft. Die negativen Seiten kennen wir alle wohl zu gut, die Zerstörung bei der Wut und die Lähmung bei der Angst.
– Die Trauer hat als Schattenseite Passivität, wird sie aber in ihrer Kraft gefühlt, kann sie zu Liebe und Annahme führen.
– Wer sich schämt, zerfleischt sich oft selbst. Das wäre die Schattenseite. Umgekehrt führt sie im positiven Sinne aber auch zu Demut und Selbstreflektion.
– Und die Freude hat nicht nur positive Seiten, sondern kann auch illusorisch werden.

Gehen wir einen Schritt weiter. Wenn uns etwas triggert, empfinden wir eine Emotion. Wenn zum Beispiel ein Freund länger nicht antwortet, könnte man, vertraut durch ältere Erfahrungen, Trennungsangst bekommen und anstatt zu kommunizieren, zieht man sich zurück. Hier spielen Absolutheitsansprüche oder Glaubenssätze oft eine Rolle.

Jede:r hat Glaubenssätze. Manche haben nur leider mehr negative als positive Glaubenssätze. In diesem Fall könnte ein Glaubenssatz sein: ich bin nicht liebenswert. Oder: ich bin wertlos. Hier ist es dann wichtig, erstens zu erkennen, welchen Glaubenssatz man hat. Und zweitens nach dem Bedürfnis dahinter zu suchen. In diesem Beispiel könnte es sein: ich möchte Geborgenheit haben und geliebt werden. Und das Gefühl, das dieses Bedürfnis auslöst, wäre die Trauer, weil das Bedürfnis nicht erfüllt wird. Anstatt sich dem Schattengefühl der Angst zu widmen, kann man also die Trauer zulassen und an dem Glaubenssatz arbeiten.

Vielleicht noch ein Beispiel, das wohl auf viele zutrifft, die an psychischen Erkrankungen leiden. Wegen der Stigmatas trauen sich viele nicht, darüber zu sprechen und versuchen so lange zu funktionieren, bis es irgendwann nicht mehr geht. Der Trigger könnte sein, einer Deadline in der Arbeit näher zu kommen. Das Schattengefühl: Die Angst, zu versagen. Oder die Angst, von anderen verurteilt zu werden. Der Glaubenssatz könnte sein: ich bin nicht gut genug. Oder: ich möchte nicht, dass andere schlecht von mir denken. Oder: ich muss leisten. Oder: ich muss funktionieren. Das Bedürfnis, das hinter all dem steht, könnte aber sein: ich möchte angenommen werden, so wie ich bin. Dass ich depressiv bin und dass das eine Krankheit ist und mich nicht als Ganzes ausmacht, zum Beispiel. Das Gefühl, das damit verbunden ist, könnte die Trauer sein. Weil ich nicht so angenommen werde, wie ich bin.

Bedürfnisse müssen nicht immer erfüllt aber wollen gewürdigt werden. Das bedeutet also nicht, dass ich gesund werde und besser funktioniere, nur weil ich die Trauer zulasse, dass ich nicht akzeptiert werde, so wie ich bin. Man kann hier aber Strategien finden, mit dem Bedürfnis umzugehen. Mehr auf sich zu schauen und nicht zu sehr an den Erwartungen anderer zu hängen (oder sich diese sogar einbilden). Zu akzeptieren, dass man gerade nicht leistungsfähig ist wie sonst und dadurch mehr auf sich zu schauen.

Kurzfristig hilft es auch, entgegengesetzt zu handeln und zu denken. Fühle ich mich sehr einsam und traurig, wäre mein erster Handlungsimpuls, mich in meinem Bett zu verkriechen und zu weinen. Ich würde meinen Glaubenssatz, dass ich nicht liebenswert sei, noch weiter bestätigen, indem ich mich nicht bei anderen melde, weil ich davon ausgehe, dass sie mich nicht mögen. Entgegengesetzt könnte man aber erst recht Freund:innen anrufen oder Aktivitäten verfolgen, die einen energetisieren.

Für mich waren diese Übungen sehr hilfreich. Ich kann hierfür die Bücher „Gefühle und Emotionen – eine Gebrauchsanweisung“ von Vivian Dittmar empfehlen. Und weil die Wut für mich sehr spannend ist: „Die Wutkraft“ von Friederike von Aderkas.

Hinterlasse einen Kommentar