
Dieser Beitrag schildert persönliche Erfahrungen. Sie sind außerdem eine Momentaufnahme vom Hier und Jetzt meiner Gedanken und Situation. Die beschriebenen Gedanken, Symptome und Erfahrungen müssen nicht auf andere mit borderline- und/oder Depression Erkrankte zutreffen. Psychische Erkrankungen äußern sich bei jedem anders, jede:r Betroffene bedarf daher einer eigenen Behandlung. Wichtig ist jedenfalls, sich in psychiatrische/psychotherapeutische Betreuung zu begeben. Damit man lernt, mit diesen Krankheiten umzugehen.
Am Welttag der Suizidprävention möchte ich einen Tagebucheintrag mit euch teilen. Ich kann nur für mich sprechen, aber der Suizidversuch kommt nicht plötzlich. Die Suizidgedanken kommen auch nicht aus dem Nichts, sondern entwickeln sich aus der Frage nach dem Sinn des Lebens, aus einer Depression heraus, die sich so schwer anfühlt, als würde man ertrinken.
„17. Juli 2024
@ Chinesische Mauer, Beijing
Ich möchte gerade nur leben. In den letzten Tagen kommen mir manchmal die Tränen. Denn vor 3 Jahren hätte ich das nicht gesagt. Aber ich habe wieder die Lust auf’s Leben entdeckt.
Und es ist nicht nur so, dass ich wieder Lust auf’s Leben habe. Ich habe auch wieder Angst vor dem Tod. Ich kann die Mauer gerade nicht so herunterschauen, wie ich in den letzten Jahren von Bergen oder Gebäuden hinuntergeschaut habe mit den Gedanken „was wäre, wenn“ und der Sehnsucht nach dem Tod.
Ich habe jetzt Angst vor dem Tod, vor dem Schmerz, und vor der Trauer meiner Familie und Freunde.
Das ist eigentlich ein oft verwendetes Argument, das Suizidgefährdeten gesagt wird: denk an die Menschen, die trauern würden, wärst du nicht mehr da. In den Momenten, wo mir das gesagt wurde, war es mir egal. Da überwog eher der Gedanke, dass sie schon hinweg kämen, Hauptsache mein innerer Schmerz endet.
Und ich glaube, dass die Depression eine Krankheit ist, die einen sehr egoistisch macht. Und einsam. Es ist dann egal, dass jemand anderer trauern würde. Es ist auch egal, wie es den anderen geht. Denn die ganze. Kraft muss in das eigene Überleben gesteckt werden, und selbst das ist schwierig. Der Mensch ist aber ein Gesellschaftstier. Wir brauchen und suchen die Gesellschaft. Dieser Wille, vielleicht sogar Überlebenswille, fehlt, wenn man depressiv ist. Man fällt in sich zusammen, man zerfällt von selber.
Es ist unglaublich schwierig für Angehörige zu wissen, wie man mit Depressiven, Suizidgefährdeten im Umfeld umgeht. Man kann als Außenstehende:r vielleicht auch gar nicht mehr tun als einfach da zu sein. Neben den zerfallenen Stücken zu stehen, diese zu hüten, zu schauen, dass sie nicht verloren gehen und versichern, dass es wieder wird. Auch wenn man gerade nicht daran glaubt.
Was mir in den letzten Jahren Hoffnung gegeben hat waren die immer wiederkehrenden kleinen Momente der Freunde, und die Sehnsucht auf die zukünftigen kleinen Momente der Freude. Meine Erwartung ist so weit gesunken, dass ich einen noch so kleinen Moment so wertschätzen gelernt habe. Und gehofft habe, dass – je besser es wieder wird – diese Momente auch öfter und länger wiederkehren. Denn das Schlimmste war es, nichts fühlen zu können.
Objektiv gesehen habe ich ein wirklich gutes Leben und bin privilegierter als die meisten Menschen auf dieser Welt. Aber ich sollte mir nicht aberkennen, wie sehr ich in den letzten Jahren gelitten habe. Sonst laufe ich vielleicht wieder Gefahr, in die gleichen Tappen zu fallen. „
Nach drei Suizidversuchen, nach sechs Monaten Psychiatrie, kann und werde ich trotzdem niemals sagen, ich wäre „geheilt“. Ich glaube, man kann von sowas nicht heilen – aber es geht mir momentan so unglaublich gut, und ich bin gewappnet für den Fall, dass es wieder schlechter wird.
Ich möchte allen Suizidgefährdeten sagen: haltet am Leben fest, es wird wieder besser, auch wenn es sich wirklich nicht so anfühlt. Und an die Angehörigen möchte ich sagen: es ist okay, wenn ihr nicht wisst, wie ihr damit umgehen sollt. Da sein ist schon so viel wert. Und es gibt auch Selbsthilfegruppen für Angehörige, falls es euch zu viel wird.
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