Mama, schau dir das Spektakel an

Mama, als ich dich gesehen habe, wie du da sitzt, nach vorne gelehnt, um ja nichts zu verpassen. Da hab ich mich gefragt: wann habe ich gelernt, Kultur zu genießen? Wir sitzen hier mit hunderten anderen und da tanzen Leute mit einer Leichtigkeit über die Bühne, als wäre es das Natürlichste auf der Welt. Da sind Logen, da sind Menschen in Sakkos, in Anzügen, in Roben, in Hemden, für die das ein normaler Samstagabend in der Staatsoper ist, den man sich halt mal gönnen kann. Die wissen, wo man das Ticket kauft und welche Sicht die beste ist. 

Und inmitten drinnen bist du, Mama, und siehst das ganze Spektakel zum ersten Mal. Mama, wann habe ich gelernt, dass man so lange klatschen muss, bis die Handflächen weh tun, bis alle mehrmals auf der Bühne waren? Mama, warum weiß ich das und du nicht? Mama, warum erlebst du das jetzt erst? Mama, warum zeige ich dir das jetzt erst? Mama, was ist passiert dass meine Realität so anders geworden ist als deine?

Mama, die Leute hier tanzen und alle fühlen sich beim Zuschauen leicht, befreit und entspannt. Das Oper schauen ist glaube ich ein Gewohnheitsding und erst nach einer Weile lernt man das Abschalten. Da muss man sich schon schlecht fühlen, weil man hier im Privileg schwimmt und abschaltet, während es da draußen für so viele so hart ist. Aber Mama, ich konnte mir das Ticket heute für dich und mich leisten, weil du auch so ein Mensch warst, der es so hart hatte, und alles getan hast damit ich heute hier sitze und meine Hände bis zum Taub werden klatsche, als wär’s das Natürlichste auf der Welt.

Mama, wenn ich dich so sehe, wie du da sitzt und realisierst, was ein Teil von meinem Leben geworden ist. Dann ist mir alles egal und es ist schön, durch das Leuchten in deinen Augen zu sehen, wie privilegiert ich dank dir sein darf und wie glücklich es mich macht und jetzt dich au

Die Mama ist seit 35 Jahren in Wien und irgendwann bin ich drauf gekommen, dass sie eigentlich so wenig kennt. Ich hab ihr einen Opernbesuch geschenkt und das war einer der schönsten Abende, die ich mit ihr erlebt habe. Danke, Mama.

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