Wann ein Kompromiss nicht mehr tragbar ist

Nach sieben Jahren politischem Tun verabschiede ich mich nun schweren Herzens von der Parteipolitik. Als Politiker:in ist es unsere Verantwortung, andauernd zu eruieren, ob man die eigene Parteilinie mittragen kann. Niemand ist zu 100% d’accord mit dem eigenen Parteiprogramm, und das ist auch gut so, dann das stärkt den internen Diskurs – aber überwiegend sollte es doch mit den eigenen Werten vereinbar sein. Für mich ist die Grenze mit den Einsparmaßnahmen, die die Ärmsten unserer Gesellschaft treffen, nun erreicht, weswegen ich mit Ende des Jahres mein Mandat als Bezirksrätin und Klubobfrau der NEOS in der Döblinger Bezirksvertretung zurücklegen werde.

2019 bin ich den Jungen NEOS beigetreten, um die Hochschulen zu reformieren (spoiler: hat nicht funktioniert). Kurze Zeit später bin ich den NEOS beigetreten, wurde 2020 zur Bezirksrätin gewählt, 2022 zur Klubobfrau, und bei der letzten Wien Wahl im April 2025 wiedergewählt. Jetzt habe ich schweren Herzens beschlossen, mein Mandat abzugeben und mich von der Parteipolitik zu verabschieden.

ABER WARUM?

Ich bin in die Politik gegangen, um Veränderungen zu bewirken. Mich für jene einzusetzen, die keine Stimme haben. Anfänglich für Menschen wie meine Eltern, die in Armut aufgewachsen sind, schließlich nach Österreich migriert sind, hier aber viel Diskriminierung erfahren haben. Der Kreis der Menschen, für die ich mich einsetzen wollte, hat sich dann mit der politischen und persönlichen Erfahrung erweitert. Die Kinder, die das Jugendzentrum besuchen, aber keine Lobby haben. Die Direktorin der Mittelschule, die eine Ganztagesschule daraus machen will, aber nicht genau weiß, an wen sie was schicken soll. Der Anrainer, der eine Boule-Anlage im Park gegenüber haben möchte, aber nich tweiß, an wen er sich dafür wenden kann. Die Mitpatientin in der Psychiatrie, die nach der Entlassung keinen Kassentherapieplatz gefunden hat, und nicht weiterweiß.

Für die Politik-Elite ist die Verteuerung der Jahreskarte „nur“ eine Inflationsanpassung. Für meine Mutter, die sich das Jahresticket mittlerweile zwar leisten könnte, aufgrund ihrer Vergangenheit aber immer noch sehr sparsam ist, ist die Erhöhung immens, weswegen sie tatsächlich nur noch zu Fuß gehen möchte. Und das bricht mir das Herz.

Die geplanten Einsparungen treffen die Ärmsten, die keine Lobby haben. Und das kann ich nicht länger mittragen. Diese zu kurz gedachten Maßnahmen werden langfristig nur der FPÖ in die Hände spielen. Mit der Streichung der Mindestsicherung für subsidiär Schutzberechtigte wird ihnen ihre Lebensgrundlage genommen. Dass sie sich eine Privatunterkunft leisten werden können, ist unwahrscheinlich. Dass die Grundversorgungseinrichtungen genug Platz haben, bezweifle ich. Deutschkurse werden nun auch nicht weiter gefördert. Das alles bedeutet womöglich einen Anstieg an Wohnungslosigkeit, Arbeitslosigkeit, uU auch Kriminalität.

Ich verstehe es eh bis zu einem gewissen Punkt: geht man von Opposition in die Regierung, entscheiden auf einmal viel weniger Menschen über viel mehr Sachen. Bis zu einem eben gewissen Punkt ist das auch verständlich, als Regierungspartei (insbesondere als kleiner Koalitionspartner) Kompromisse eingehen – bzw für die Parteimitglieder, diese mittragen – zu müssen. Aber wann ist dieser Punkt, wann ist die Grenze erreicht?

Ich bin auch nicht grundsätzlich gegen die Regierungsbeteiligung der NEOS in Wien oder im Bund. Und wir haben doch einige Erfolge erzielt, zuletzt mit dem Chancenbonus, womit über 200 Brennpunktschulen mehr Geld für zusätzliches Personal bekommen. Und ich glaube auch nicht, dass es mit irgendeiner anderen Partei in der Wiener Stadtregierung besser funktioniert hätte. Die Grünen fordern nur neue Steuern, und den Rechten gehen die Einsparungen gar nicht weit genug. Und hier stehe ich weiter zu meiner Ideologie: Für einen Wirtschaftswachstum ist es besser, Anreize zu schaffen, als Leistungsträger:innen mit neuen Steuern zu „bestrafen“. Langfristig führt es zu mehr Abwanderungen und weniger Investitionen, was dem Wirtschaftsstandort Österreich nur schadet. Wie bei der Erhebung von neuen Steuern muss man aber auch bei Kürzungen von Geldleistungen die Verhältnismäßigkeit prüfen. Und für mich ist es nicht verhältnismäßig, den Ärmsten, die auch so schon weniger Chancen haben als andere, noch mehr Chancen zu nehmen. Ich bleibe also den NEOS zwar als Mitglied treu, kann aber selbst derzeit einfach keine repräsentative Funktion innehaben.

Ich möchte nicht jemand sein, der jahrelang in einer Partei bleibt, ein Mandat behält, weil es angenehm ist oder weil man es gewohnt ist. Ich kenne viele Politiker:innen auf Gemeindeebene, die – wenn sie auf problematische Policies ihrer eigenen Partei auf höheren Ebenen angesprochen werden – meinen: „Ja, das sehe ich ähnlich wie du. Aber das betrifft mich ja nicht, ich bin ja nur Bezirkspolitiker.“ Ich habe mich auch selber schon dabei ertappt – bei Maßnahmen, die von Regierung gesetzt werden, die ich nicht mitbeeinflussen konnte.

Ich möchte aber nicht eines Morgens aufwachen und realisieren, dass ich schon lange den Zeitpunkt verpasst habe zu sagen: das widerspricht meinen Prinzipien, meinen Überzeugungen. Und wenn die (Bundes- und Stadt-)Regierung bei den zwei Themen, die mir am Wichtigsten sind, einen Weg gehen, der mit meinen Überzeugungen nicht übereinstimmt, ist doch spätestens da die Grenze erreicht.

Man könnte das Bleiben argumentieren, gäbe es innerhalb der Partei ausreichend Möglichkeiten, Veränderungen zu bewirken. Das war auch früher mein Mantra: Ich stimme nicht mit allen Programmpunkten der NEOS überein. Aber solange ich die Möglichkeit gesehen habe, intern Veränderungen zu bewirken, war es mir wert, zu bleiben. Diese Möglichkeit hat sich in den letzten Jahren, seitdem wir die Regierungs“verantwortung“ übernommen haben, immer unmöglicher geworden. Und jetzt hat es nun einen Punkt erreicht, wo ich sage: wenn ich nicht einmal intern etwas bewirken kann, dann ist es Zeit für mich, zu gehen.

Ich denke, dass ich meine Arbeit als Bezirksrätin und Klubobfrau der NEOS in der Bezirksvertretung Döbling gut gemacht habe. Wir haben mehr Erfolge erzielt als alle anderen NEOS-Klubs in den vergangenen Perioden. Aber ich kann derzeit nicht guten Gewissens NEOS nach außen repräsentieren, weswegen ich schweren Herzens meine Tätigkeit als Kommunalpolitikerin aufgeben muss. Es wäre heuchlerisch, mich privat für die Rechte von Migrant:innen einzusetzen, während die Partei, die ich vertrete, ihre Rechte in einer Weise einschnürt, dass der Anschein erweckt wird, sie seien weniger Menschen als andere.

Ein großes Danke für 7 spannende Jahre

Jedenfalls möchte ich mich bei allen Menschen, die ein Teil dieses Lebensabschnittes waren, bedanken. Angefangen von Menschen, die mich gefördert haben und an mich geglaubt haben, auch wenn ich selbst nicht an mich geglaubt habe. Hin zu den Menschen, die mich einfach mit ihrem Denken inspiriert haben. Bis zu den Kolleg:innen, die meinen Horizont erweitert haben, mit denen ich kritische Diskussionen führen konnte, und mit denen die Arbeit einfach sehr viel Spaß gemacht hat. Danke und alles Gute!

Eine Antwort zu „Wann ein Kompromiss nicht mehr tragbar ist”.

  1. Ich kann deine Entscheidung stark nachvollziehen und ich habe genauso wie bei Dr. Stefanie Krisper auch bei dir einen riesigen Respekt vor deiner Entscheidung!

    Du kannst jedenfalls stolz sein auf das was du erreicht und geschafft hast!

    Mir sind beide deiner Schwerpunkte ebenfalls enorm wichtig – ich hätte dich noch gern persönlich kennengelernt und mit dir gemeinsam an der ein oder anderen Besserung gearbeitet – die eine oder andere Idee habe ich nach wie vor im Hinterkopf. Die aktuellen Entwicklungen stimmen auch mich traurig, ich überlege sogar einen Parteiaustritt, aus den selben Gründen die du beschrieben hast.

    Ich wünsche dir für deine Zukunft nur das Beste!

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